Die Laaser Marmorbahn
Die Laaser Marmorbahn – Eine der interessantesten Europäischen Eisenbahnen befindet sich versteckt im Vinschgau in Südtirol.
Westlich von Meran in Südtirol liegt das Vinschgau. Mächtige Berge mit bis zu 3000 Metern Höhe säumen das Tal der Etsch. Große Apfelplantagen prägen das Tal. Fast eine Million Tonnen Äpfel werden in Südtirol pro Jahr geerntet – mit 30 % der Exporte hat Deutschland den größten Appetit auf Südtiroler Äpfel. An den Berghängen finden sich spektakuläre Burgen und Klöster. Hier, an einem Berghang, liegt die Laaser Marmorbahn.
Durch das Tal schlänget sich die 2005 – fünfzehn Jahre nach der Stilllegung – wieder eröffnete Vinschgerbahn. Zwölf dieselelektrische Triebwagen vom Typ Stadler GTW 2/6 verkehren hier im Stundentakt – in den Hauptverkehrszeiten zum Halbstundentakt verdichtet. Bei rund 2 Millionen Fahrgästen jährlich ist inzwischen die Kapazitätsobergrenze der Diesel-Zuggarnituren erreicht und oft auch überschritten. So beschloss die Südtiroler Landesregierung letztes Jahr die Bahnlinie zu elektrifizieren um die Kapazitäten steigern zu können.
Etwa in der Mitte der Bahnlinie zwischen Meran und dem Endpunkt Mals am Reschenpass liegt am Übergang vom Oberen zum Unteren Vinschgau die Station Laas. Direkt hinter dem Bahnhof sind große, weiße Marmorblöcke zu sehen: Das Werk der Lasa Marmo. Hier startet die Laaser Marmorbahn. Der Marmor wird im Volksmund das „Weiße Gold“ genannt. Die Marmorvorkommen im Laasertal wurden bereits in der Römischen Antike als Meilensteine an der Via Claudia Augusta verwendet, die industrielle Gewinnung begann Mitte des 19. Jahrhunderts.
Der Laaser Marmor-Pionier Josef Lechner hatte den sogenannten Weißwasserbruch 1883 von der Gemeinde Laas gepachtet und als erster Bruchbetreiber in industrieller Abbauweise Marmor gewonnen. Rasch gewann der Marmor an Bekanntheit:
Ende des 19. Jahrhundert wurde der Laaser Marmor von unzähligen Architekten und Steinbildhauern verwendet und prägt bis heute insbesondere die neoklassizistische Architektur großer europäischer Städte. Zu den bekanntesten künstlerischen Werken aus Laaser Marmor gehören das General-Moltke-Denkmal in Berlin, der Monumentalbrunnen der Pallas Athene vor dem Parlamentsgebäude in Wien, das Denkmal der Queen Victoria vor dem Buckingham-Palast in London und das Heinrich-Heine-Denkmal in New York.
Auch in der zeitgenössischen Architektur ist der Laaser Marmor ein begehrter Baustoff: Ob die Escanda Boutique in New York, der Flughafen in Stuttgart, die Sheikh Zayed Moschee in Dubai oder das Central Building in Hongkong – überall findet der Marmor aus Laas Verwendung. Das „World Trade Center Transportation Hub“, das im Dezember dieses Jahres eröffnet werden soll, eine symbolbeladene Empfangshalle für die Besucher des Ground-Zero-Areals, wird ebenfalls mit Laaser Marmor ausgekleidet sein. Die Lasa Marmo GmbH erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von über 7,8 Millionen Euro.
Auf dem Werkgelände der Lasa Marmo kann man eine kleine, grüne Werklokomotive entdecken, hinten an der Bergwand sieht man schon vom Bahnhof Laas aus den imposanten Schrägaufzug, wie einen überdimensionalen Reißverschluss am Berghang: Die Laaser Marmorbahn.
Bis Ende der zwanziger Jahre wurden die Marmorblöcke – in der Regel drei bis fünf Kubikmeter groß und bis zu 13 Tonnen schwer – aus den 1500 bis 2200 m über Meereshöhe befindlichen Steinbrüchen auf Schleifbäume aus Lärchenholz verladen und mit Hanfseilen ins Tal gebremst. Eine sehr gefährliche Transportart, oft kam es zu schweren Unfällen. Auf flacheren Teilstrecken kamen Karren oder Schlitten zum Einsatz, die von Pferden oder Ochsen gezogen wurden. Ein zunehmend unrationelles Verfahren.
Im Rahmen des Wirtschaftsaufschwungs der Goldenen Zwanziger Jahre gelang es mit internationalem Kapital aus den USA, Deutschland und Italien den Großbetrieb Marmor-Industrie AG Lasa („Società Anonima Lasa per l’Industria del Marmo“) zu gründen. Die Börsenkurse stiegen in jener Zeit ununterbrochen, viele Anleger träumten vom großen Geld und nahmen sogar Kredite auf, um Aktien zu kaufen: Man war hungrig nach Industrie-Aktien. Die Kapitalbeschaffung war, bis zum berühmten Schwarzen Freitag 1929, ein Leichtes. Eine Expertise über die Aussichten des Marmors auf dem amerikanischen Markt und großzügige Schätzungen über die in einem Jahr abbaubaren Marmormengen führten Investoren zum Einstieg in das Laaser Unternehmen. Geld war da: Jetzt konnte geklotzt werden – Lasa Marmo wurde zum technisch am besten ausgerüsteten Marmorunternehmen Europas ausgebaut.
Der damaligen Weltmarktführer im Seilbahnbau, die Leipziger Firma Adolf Bleichert & Co baute und plante 1929 die Laaser Marmorbahn. Die elektrische Ausrüstung stammt vom Siemens in Berlin, die Elektromotoren von Brown-Boweri aus Mailand. Eine besondere Herausforderung war die Montage der der 4,5 Tonnen-Welle im Maschinenhaus an der Bergstation des Schrägaufzugs. Hierzu musste ein provisorischer Betrieb der Schrägbahn eingerichtet werden. Die Montage dauerte fast vier Monate. Die Schrägbahn überwindet auf einer Länge von 950 Metern eine Höhendifferenz von 474 Metern. Bis zu dreihundert Arbeiter waren an der Baustelle tätig, sodass schon nach einer Bauzeit von nur einem Jahr am 16. Oktober 1930 der Schrägaufzug und die meterspurigen Bahnstrecken eröffnet werden konnten.
Die Laaser Marmorbahn besteht aus vier Teilen: Der unteren Strecke vom Werk zur Talstation des Schrägaufzugs, dem Schrägaufzug selber, der oberen Bahnstrecke und einer Seilbahn, über welche die Marmorblöcke vom Steinbruch auf den anderen Berghang eines Seitentals zur Bahn gelangen.
Folgen wir nun einen Marmorblock auf dem Weg ins Tal. Es gibt hoch oben in den Bergen zwei unterirdische Steinbrüche in denen der Marmor gewonnen wird. Hier wird der Marmor in mehreren Hallen von etwa 100m Länge, einer Breite von 25 Metern und einer Höhe von bis zu 40 Metern im schachbrettartigen Versatz untertage abgebaut. Der heute von der Lasa Marmo betriebene Weißwasserbruch liegt auf 1.567 m Meereshöhe, hinter dem Weiler Tarnel und gehört zum Gebirgsstock Jennwandmassiv. Allein das noch vorhandene Marmorvorkommen im Jennwandmassiv wird auf rund 30 Millionen Kubikmeter geschätzt. Im zweiten Steinbruch, dem Jennwandbruch wird zur Zeit nicht abgebaut.
Vor dem Eingang zum unterirdischen Weißwasserbruch liegt ein Plateau auf dem die gewonnenen Marmorblöcke zwischengelagert werden können. Die Marmorblöcke aus dem Weißwasserbruch werden auf die Westseite des Laaser Tales per Lastenseilbahn, der neuen Weißwasser-Seilbahn, transportiert und auf die Wagen der oberen Laaser Marmorbahn, einer Adhäsions-Flachbahn, gelegt. Die Seilbahn kann Blöcke bis zu einem Gewicht von 20 Tonnen transportieren. 2011 wurde diese neue Seilbahn in Betrieb genommen. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die Marmorblöcke noch mit der alten Seilbahn der Firma Adolf Bleichert & Co aus dem Jahr 1929 befördert. Die neue Seilbahn trifft im hinteren Drittel der Bergstrecke auf die Laaser Marmorbahn. Es ist ein imposantes Schauspiel, wie die tonnenschweren Marmorblöcke scheinbar schwerelos über das Tal gleiten.
Die meterspurige Bahnstrecke führte früher noch ein ganzes Stück weiter zur alten Verladestation. Insgesamt war sie 1,8 Kilometer lang. Am Endpunkt gab es einen richtigen Verladebahnhof mit ursprünglich drei Gleisen. Heute wird sozusagen „mitten auf der Strecke“ verladen. Der hintere Teil der oberen Marmorbahn wird nicht mehr genutzt und Zusehens von der Natur zurückerobert: Die Gleise sind bereits weitgehend durch Steinschlag, kleine Murenabgänge und umgefallene Bäume zerstört und inzwischen unbefahrbar.
Die neue Seilbahn, seit 2001 in Betrieb, endet unmittelbar über dem Gleis, sodass die Marmor-Blöcke direkt von der Seilbahn auf den Waggons der oberen Laaser Marmorbahn abgesetzt werden können. Die neue Weißwasserseilbahn, eine Einspurbahn mit Doppeltragseil hat eine Länge von 1.350 Metern und eine Nutzlast von maximal 20 Tonnen.
Auf der oberen Marmorbahn ist die 1930 von Tecnomasio Italiano Brown Boveri in Mailand mit der Fabriknummer 3150 gelieferte Lokomotive im Einsatz. Die zweiachsige Lok wurde ursprünglich als Akku-Lokomotive gebaut. Im Jahr 1937 wurde die Bahnstrecke mit einer 320 Volt Oberleitung elektrifiziert, und die Lokomotive entsprechend umgebaut. Da die Bahnstrecke rund um die Uhr im Einsatz gewesen ist, war sie auch komplett mit Lampen illuminiert. 1993 folgte ein weiterer Umbau: Die Oberleitung wurde zurück gebaut und die Lokomotive bekam einen dieselelektrischen Antrieb. Die Wagen auf der oberen Marmorbahn sind nur mit einer Handbremse ausgestattet, das maximale Gefälle des Streckenabschnitts beiträgt 14‰. Die Lokomotive hängt immer talseitig am Zug.
Die Strecke führt von der Seilbahnverladung in einem weitläufigen Halbkreis nach Westen zum sogenannten Bremsberg, der Bergstation des Schrägaufzuges. Hier gibt es neben dem Maschinenhaus auch eine kleine Remise für die Lokomotive. Die Wagen werden nun einzeln auf die Schrägseilbahnwagen verladen. Ursprünglich war die Anlage auf den Transport von jeweils zwei Waggons gleichzeitig je Richtung bei einer Last von maximal 40 Tonnen ausgelegt. So kam sie jedoch nie zum Einsatz, es wird immer nur ein Waggon berg- bzw. talwärts befördert. Zugelassen ist die Schrägbahn folglich für 18 Tonnen.
474 Meter Höhendifferenz werde auf einer Strecke von 950 Metern Länge überwunden. Bei ihrer Erbauung war sie die größte Anlage dieser Art in Europa. Neben der Beförderung von den Marmorblöcken ins Tal wurde bis 1990 auch Quarzsand als Scheuermittel für die Seilsägen in die Steinbrüche hinauf befördert. Mit der Umstellung auf Diamant-Sägen entfiel diese Aufgabe. In früheren Zeiten wurden auch die Arbeiter mit der Bahn in die Marmorsteinbrüche befördert, bis zu 300 Personen am Tag. Um den Betrieb rund um die Uhr zu gewährleisten, lebten im Maschinenhaus an der Bergstation die beiden Maschinisten mit Ihren Familien. Selbst ein Nachfahre wurde dort geboren. Die Spurweite der Schrägbahnwagen beträgt beträgt 2533,5 Millimeter. Nachdem der Wagen mit dem Marmorblock quer zur Fahrtrichtung auf den Schrägaufzug geschoben und verzurrt wurde, setzt sich die Schrägbahn langsam in Bewegung.
Im Maschinenhaus läuft jetzt unter lautem Getöse die gewaltige Trommel des Antriebs mit einem Durchmesser von 6 Metern an. Langsam gleitet der Wagen der Schrägbahn an dem 4,8 Zentimeter dicken Seil zur Talstation. Vierzehn Minuten wird die Fahrt dauern. In der Mitte der Strecke befindet sich die Ausweichstation, hier am sogenannten „Wechsel“ passiert der talfahrende Wagen den bergwärts laufenden. Die Abt’sche Ausweiche erlaubt eine Vorbeifahrt der Schrägwagen ohne beweglich Teile im Gleiskörper. Erfunden hat dieses System der geniale Maschinenbauingenieur Carl Roman Abt (1850 – 1933) der auch das bekannte „System Abt“ für Zahnradbahnen erfand und Anfang des 20. Jahrhunderts als Präsident der Gotthardbahn-Gesellschaft arbeitete. Bei der Abt’schen Ausweiche hat das außenliegende Rad einen Doppelspurkranz, das innen liegende Rad einen Walzrad ohne Spurkränze. So wird der Schrägbahnwagen immer sicher über die Außenseite der Ausweiche geführt.
Mit einem Gefälle von bis zu 624‰ wird die Talstation, genannt „das Loch“, erreicht. Der Wagen der Schrägbahn verschwindet tatsächlich in einer Versenkung, einer Art Loch, damit der Marmorwagon ebenerdig abgezogen werden kann. Hier wartet schon die Tal-Lokomotive. Sie wurde 1930 ebenfalls von Tecnomasio Italiano Brown Boveri aus Mailand geliefert und hat die Fabriknummer 3151. Sie ist baugleich mit der Berglokomotive. An der unteren Laaser Marmorbahn stehen noch einige der Strommasten, die auf den Oberleitungsbetrieb in den Jahren 1940 bis 1988 hinweisen. Hier wurde die Fahrleitung schon früher als bei der oberen Marmorbahn deaktiviert, als der neue Portalkran am Werkshof errichtet wurde
Eine weitere Lokomotive mit der Fabriknummer 3177 war 1930 als Reserve angeschafft worden, wurde jedoch schon elf Jahre später an die Fleimstalbahn für die Strecke von Auer nach Predazzo im Südtiroler Unterland abgegeben. Nach der Stilllegung der Fleimstalbahn 1963 wurde diese Lokomotive verschrottet. Des weiteren gab es noch einen kleinen, offenen Eigenbau, der mit dem Motor eines kleines Baggers angetrieben wurde. Dieser ist auch nicht mehr erhalten ist.
Von der Talstation geht es nun fast schnurgerade auf einer Länge von 800 Metern durch die Apfelplantagen des Vinschgaus in das Werk der Lassa Marmo, hier erfolgt die weitere Verarbeitung des Rohmaterials. Das Werksgelände der Lasa Marmo GmbH umfasst eine Fläche von rund 55.000 Quadratmetern. Von hier aus tritt der Marmor dann auch seinen Weg in den Rest der Welt an – sei es New York, Berlin oder Singapur.
Die Zukunft der Laaser Marmorbahn ist leider alles andere als gesichert. Mag sie noch so sehr als einmaliges technisches Denkmal gepriesen werden, passt sie nur schwer zu einem modernen, renditeorientierten Unternehmen. Als gewisses Glück kann es angesehen werden, dass aus naturschutzrechtlichen Gründen im Nationalpark Stilfser Joch eine Verlagerung des Transportes auf Lastwagen eher ausgeschlossen werden kann. Die Zeiten, als die Bahn rund um die Uhr im Betrieb war, sind längst vergangen. Heute verkehrt die Laaser Marmorbahn eher sporadisch, oft tagelang überhaupt nicht. Die Bahnanlage ging 2009 von der Lasa Marmo in die öffentliche Hand über, genau gesagt an BNR Laas (Eigenverwaltung Bürgerlicher Nutzungsrechte Laas). Die Lasa Marmo nutzt seither als Pächterin die Transportstrukturen. Seitens der Gemeinde bemüht man sich redlich, den touristischen Wert dieses einzigartigen Industriedenkmals zu nutzen: Ein Wanderweg mit Informationstafeln entlang der Schrägbahn wurde eingerichtet. Auch die Mitarbeiter von Lasa Marmo sind Besuchern gegenüber sehr aufgeschlossen. Da jedoch die Personenbeförderung auf dem Schrägaufzug für Betriebsfremde verboten ist, scheint es unrealistisch, eine Art Museumsbahnbetrieb für Besucher etablieren zu können. Eine aktuell diskutierte Idee ist es, dass die Gemeinde versucht, über subventionierte Transporte die Marmorbahn am Leben zu erhalten, also mit öffentlichen Zuschüssen wirtschaftlich konkurrenzfähige Transportkosten zu schaffen. Doch noch ist die Zukunft der Laaser Marmorbahn ungewiss.
Gabriel Habermann
Die Lage der Laaser Marmorbahn: